KAIRO IM FRÜHLING 2007

2,5 Jahre ist mein letzter Kairo- und Aegyptenbesuch her, diesmal ist es ausschliesslich eine Woche Kairo.
Andrea Baumann – Shamira – aus St. Gallen, Tanzkollegin und Inhaberin des Bauchtanzshops, organisiert eine Tanz- und Kulturreise. 10 Frauen, 12 Tanzstunden, eine grosse Stadt und ein Tanzlehrer und Fremdenführer: Ashraf Hassan. Ich lasse in diesem Text Sehenswürdigkeiten und Erlebnisse aussen vor und schreibe zu einigen Themen, die separat angewählt werden können.

 

Kairo, die Stadt
In Kairo empfängt uns strahlendes und warmes Wetter mit einem saften Wind. In der folgenden Woche werden wir aber auch Sandstürme und Regengüsse erleben. Letztere sind eigentlich eine Seltenheit, und entsprechend unbeholfen agiert man auf den nassen Strassen.

Kairo pulsiert, tobt, lärmt und lebt wie eh und je. Die Stadt ist seit meinem letzten Besuch weder ruhiger noch langsamer geworden und ich bin froh darüber.
Irgendwas geht dort ab, das sich stimmungsmässig mit keiner anderen Grossstadt vergleichen lässt, die ich bisher gesehen habe. Auch nicht mit Bangkok oder Caracas...

Man hört Gehupe, Geschrei, Gelächter.
Der Wind trägt allerlei Düfte zu mir und wieder von mir weg. Mal betörenden Blumenduft, dann Autoabgase, kurz darauf Gewürze und plötzlich wieder Abfall. Es riecht nach Kairo.
Ich schlendere durch die dünne Schicht Sandstaub vom gestrigen Sturm und habe das Gefühl, auf weichem Boden statt auf Pflastersteinen zu gehen.

 

Ich sitze in einem Taxi, und die Sicht aus dem Fenster gleicht der Betrachtung eines Wimmelbuches für Kinder. Man sieht gleichzeitig 1001 Dinge. Schulmädchen mit Kopftuch und trendy Outfit (XL-Sonnenbrille, breiter Gürtel über der rosafarbenen Tunika, darunter Jeans) warten auf den Bus, alte Männer gestikulieren wild.
Ein Junge zieht mitten in den Autos ungeduldig einen Esel hinter sich her, Frauen tragen auf einer Schulter rittlings sitzende und schlafende Kinder und auf dem Kopf ihre Einkäufe. So balancieren sie mit der ganzen Last durch die vorbei rasenden Automassen.
Zwei Geschäftsmänner in teuer aussehenden Anzügen klopfen sich auf die Schultern und küssen sich, Velofahrer balancieren riesige Bretter mit Unmengen Fladenbroten.

Alle sind irgendwie in Bewegung, alle scheinen genau in diesem Moment zu leben und verleihen dadurch ihrem eigentlich banalen Tun einen Ausdruck, der Alltagshandlungen zu einer Performance werden lässt, die man auch gerne auf einer Bühne sehen würde. Der ganz normale Alltag in Kairo, für mich als Fremde ein faszinierendes Treiben.

 

 

 

Die Autos drängeln kreuz und quer, Hupen heisst „Achtung, jetzt komme ich“. Die Fahrenden rufen sich bei herunter gelassenen Scheiben Wegbeschreibungen zu, zwischen den fahrenden Autos stehen in winzigen Lücken Leute, alte Frauen, Männer in wehenden Gewändern, Kinder, die alle blitzschnell und geschickt von der einen zur anderen Strassenseite gelangen. Sie stoppen an den richtigen Stellen und gehen forsch weiter, wenn es passt. 

Ja, der Verkehr ist die Hölle. Eine Woche Feinstaubinhalation und ab und zu schon ein bisschen Angst, ob man denn nun wirklich lebendig auf der anderen Strassenseite ankommt. Hey, wer braucht Bungeejumping oder Fallschirmsprung, wenn man auch umsonst in Kairo über die Strasse rennen kann?
Regeln gibt es wenige, viele fahren ohne Führerschein (man kann ihn je nach Solvenz käuflich erwerben). Bei Ampeln gilt folgende Regel: bei grün MUSS man, bei rot DARF man fahren.
Kein Auto ohne Beulen. Bei manchen Taxis bin ich erstaunt, dass sie nicht ganz auseinander fallen. Die Verkehrstotenrate in Aegypten ist eine der höchsten weltweit.
Dass nicht alle Aegypterinnen und Aegypter dauernd angefahren werden, hat einen Grund: sie beobachten ganz genau. Diese Gabe ist nicht nur im Strassenverkehr sinnvoll, auch im sozialen Bereich sind sie uns damit um Schritte voraus, Das ist meine Empfindung, wenn ich den Umgang der Menschen untereinander beobachte.

 

Ich ziehe fast jeden Tag nach den Tanzstunden alleine los. Ich fühle mich zu jeder Zeit sicher und aufgehoben, respektvoll und zuvorkommend behandelt. Die Leute, mit denen ich Kontakt habe, geben sich interessiert, aber nie aufdringlich.
Wichtig sind Kleider mit langen Ärmeln, nicht zu eng, keine tiefen Ausschnitte, zusammengebundene Haare, kein allzu intensiver Blickkontakt. Das ist alles.
Mit ganz wenigen Worten Arabisch und einem Lächeln lässt sich eigentlich alles machen.
 

Nachfolgend ein paar Bilder von Sehenswürdigkeiten...

Der Khan El Khalili und seine Waren

 

Die goldene Rezeption des Mena House

Das Mena House von aussen

 

 

Mohammed Ali Moschee

 

Sultan Hassan Moschee

 

 

...und natürlich die Pyramiden mit Sphinx

 

 

 

 

 

 

 

 

Die wunderschöne Derwisch-Show

 

 

 

Amira El Kattan, die Designerin
Wie letztes Mal habe ich bereits zuvor mit Amira einen Termin ausgemacht und ihr meine Kostümwünsche und Ideen gezeichnet und gemailt.
Gleich nach unserer Ankunft im Hotel lasse ich mir Amiras Adresse von Ashraf in arabischer Schrift aufschreiben und steige in das nächste Taxi, eine 45- minütige Fahrt quer durch die Stadt ins nördliche Wohnviertel Mohandessin steht an.
Amira El Kattan ist eine der grossen Tanzkostümdesignerinnen Kairos. Sie hat Modedesign studiert und lange in Amerika Abendmode für die High Society geschneidert.
Amira hat 400 Angestellte, sie schafft Arbeit für ein ganzes Dorf. Ihr Atelier gleicht einer Bruchbude. Niemand, der dieses Gebäude betritt, glaubt dort eine solche Pracht an Kostümen vorzufinden.

Zuerst eine herzliche Begrüssung und freudiges Wiedersehen mit Amira und einigen ihrer Angestellten, gefolgt von einer zweistündigen Diskussion, was denn nun genau geschneidert werden soll. Stoffe werden gesichtet, Strasssteine und Pailletten ausgewählt, Amira steckt Röcke an mir ab, Fatma nimmt meine Masse, alles inklusive meiner Wünsche wird in ein grosses Heft gekritzelt, dazu werden Stoffmuster geheftet. Ich bin total erschöpft.
Es ist Montag. Ich will drei Tanzkostüme. Freitags und samstags ist das Atelier geschlossen, Montag früh fliegen wir ab.
Wir vereinbaren, dass ich am Sonntag zu einer Anprobe komme, die Kostüme danach fertig gestellt und in die Schweiz geschickt werden.

Als ich am Sonntag ins Atelier komme, ist Amira ganz aufgekratzt und eröffnet, alle drei Kostüme seien nun doch fast fertig. Je nachdem, wie viel noch geändert und angepasst werden müsste, könnte ich sie doch gleich mit nach Hause nehmen.
Ich verbringe den Nachmittag damit, in Kostüme rein- und rauszuschlüpfen, Änderungen zu besprechen und zu schwitzen.
Amira feuert ihre Angestellten an, kontrolliert hier, erklärt da, hilft und überwacht das Schaffen. Die Stimmung ist heiter, man macht sich scheinbar einen Sport daraus, mir die fertigen Kostüme in möglichst kurzer Zeit zu präsentieren, obwohl ich betone, dass es für mich in Ordnung ist, wenn sie nachgeschickt würden.
Ich mache einen Spaziergang im Quartier. Als ich zurück komme, ist alles nahezu fertig.
Ein Beweis, dass Amira sehr kreativ und hingebungsvoll arbeitet ist der Perlenstrang, der beim roten Kostüm unterhalb der linken Brust verläuft. Ich habe mir den gewünscht, habe aber nichts zu den Materialien gesagt. Amira hat eine fixe Idee von roten Perlen im Kopf, aber keine solchen im Haus. Als sie sieht, dass ihr Schlüsselanhänger ähnliche Perlen enthält, macht sie diesen kurzerhand kaputt. So wird Amiras Schlüsselanhänger in mein Kostüm verarbeitet.


Letzten Endes bleiben drei wunderschöne Kostüme, die mir buchstäblich auf den Leib geschneidert wurden. Fotos dazu hier.

 

Ashraf Hassan, der Tanzlehrer


Ashraf unterrichtet nicht nur Tanz, er macht während unseres Aufenthaltes weit mehr, vom Abholen am Flughafen bis zur Rundumbetreuung bei Ausflügen.
Ein Aegypter, der mit bayerischem Dialekt Deutsch spricht, ist schon an und für sich recht lustig, Ashraf als Privatmensch ist ebenfalls eine gutmütige Frohnatur.

Ashraf seriös...

...und in Blödelstimmung


Ashraf ist ausgebildeter Balletttänzer. Er hat 17 Jahre in München gelebt und unter Anderem einige Jahre im Nationaltheater getanzt.
In Aegypten hat er immer wieder Folkloretänzerinnen- und Tänzer unterrichtet und kam so von Ballett über Aegyptische Folklore zum „Bauchtanz“.
Er hat seinen ganz eigenen Stil. Kleine aber bedeutende Akzente zum Beispiel, oder die anmutige Arm- und Handhaltung, die mir weniger raumgreifend und dennoch elegant und präsent scheint.

 

Spannend, wir absolvieren unser erstes Training im Tanzraum der bekannten Tänzerin Randa Kamel. Am ersten Tag kommen wir dort etwas ratlos an. Ein winziger Raum in einem Keller, unebener Boden, schlechte Luft, ein Spiegel, in dem man nicht viel sieht, dafür ganz viele grosse Lautsprecherboxen...

Foto:Andrea Baumann


Nach drei Stunden entscheiden wir, den Rest der Woche in Ashrafs Wohnzimmer zu tanzen, welches weit grösser und luftiger ist. In Kairo auf die Schnelle einen Tanzraum aufzutreiben ist fast unmöglich.

Ich bin positiv überrascht von Ashrafs Unterricht, speziell davon, wie genau und gut er Bewegungen erklärt (bei orientalischen Dozenten keine Selbstverständlichkeit, herrscht doch bei vielen die „ich-mach`-was-vor-und-ihr-macht-es-nach-Didaktik“).
Zudem korrigiert er jede einzelne Schülerin. Ashraf: “Es tut mir leid, aber ich habe so empfindliche Augen, die sehen immer alles.“ Stimmt.
In Deutschland, Italien und Spanien gibt Ashraf regelmässig Workshops.

Nile Festival, dieTanzshow

Kleiner Kostümbasar am Festival

Sahar Okasha Kostüme

Am letzten Abend in Kairo lädt uns Magdy El Leisy an den Abschlussabend des Nile Festivals ein.
Erfreulicherweise ist auch Tito - der aegyptische Startänzer – da. Im Publikum statt auf der Bühne, aber das hält ihn nicht vom Tanzen ab. Sowieso erleben wir eine typische Party auf aegyptisch: Essen gibt es erst um 23.00, das Orchester spielt so laut, dass sich alle Gäste Taschentücher in die Ohren stopfen.

Party

 

Tito...

...in Action


Die Stimmung ist ausgelassen, die Tänzerinnen irritieren uns brave Schweizerinnen in Sachen Kostümschnitte...
Selten sind die Beine bedeckt, im Brustbereich wird so viel gepusht, dass ein alltäglicher Schultershimmy nicht mehr möglich ist. Viel Haut, aber hey, sie tragen das obligatorische Bauchnetz, dann ist ja alles in Ordnung. Und es findet es auch niemand seltsam, wenn eine Tänzerin im Fetzenminikleid mit Schienbeinschonern aus Fell auftaucht.

Die drei Tänzerinnen des Abends sind Nana, Fatima und Hanady, alles Aegypterinnen, die regelmässig in Kairo tanzen. Tänzerisch gefallen mir alle drei.

Nana

Fatimas Kostümwahl und ihr Makeup finde ich zwar so grauenvoll, dass ich mich nicht wirklich auf ihren Tanz konzentrieren kann. Bei allen drei Tänzerinnen kann man einige Dina-Elemente ausmachen, sie wird scheinbar immer noch gerne kopiert. Bei Hanady fällt dies vor allem beim Gesichtsausdruck auf.
Fatima

 

 

 

 

Hanady

 

 

 

Ein marokanischer Tänzer vergnügt sich mit Magdy El Leisy


Wir gehen, bevor die Show zu Ende ist, weil wir um 1.00 im Gegensatz zu den Musikern und Tänzerinnen erschöpft sind.
Eine Woche in einer vollkommen anderen Welt, mit zu wenig Schlaf zwar, dafür mit vielen Erlebnissen und Eindrücken, die über das Schlafmanco hinweg trösten.

 

Text & Fotos: Erini